Gedankenflug: Demokratie im Aufwind

Sorry, liebe Redaktion – mein Gedankenflug kommt spät. Ich musste nämlich das Schreiben dieses Textes etwas verschieben. Wegen der Abstimmung vom 15. Mai. Es war eine Riesenarbeit und ich hatte sie immer wieder hinausgeschoben. Doch jetzt musste es sein, wenn mein Couvert noch rechtzeitig beim Abstimmungsbüro landen sollte. Bis ich nur die ganze Auslegeordnung gemacht hatte mit den vielen Stimmzetteln, den Begleitbüchlein und den diversen Zeitungsartikeln, die ich mir zu den Vorlagen auf die Seite gelegt hatte. Zum Glück haben wir einen grossen Tisch, da hatte alles Platz darauf. Dann ging es daran, nochmals alles genau zu lesen, abzuwägen, zu überlegen – und schliesslich wollten die diversen Stimmzettel richtig ausgefüllt sein. Bisher waren vor allem Wahlen etwas aufwändiger, jetzt sind es also auch Abstimmungen. Und dann die verschiedenen Stichfragen! Also einfach war es dieses Mal nicht.

Doch: ist Demokratie etwa einfach? Übertragen aus dem Griechischen heisst Demokratie ja Volksherrschaft. Und in der Präambel unserer schweizerischen Verfassung ist Demokratie als tragendes Verfassungsprinzip verankert. Wir haben das Recht zu wählen und abzustimmen. Seit vierzig Jahren auch wir Frauen. Ich habe mir damals 1971 nach gewonnener Frauenstimmrechts-Schlacht geschworen, dass ich wenn immer möglich an die Urne gehen würde. Als 1959 die erste Volksabstimmung (eigentlich Männerabstimmung) über das Frauenstimmrecht bachab ging, hatte ich als Schülerin erlebt, wie in Basel unsere Lehrerinnen einen Tag streikten. Das prägt. So musste ich nun halt auch in den sauren Apfel der überaus umfangreichen und komplexen Abstimmung vom 15. Mai beissen. Wie glücklich wir mit unserer Regierungsform sein können, und wie schwierig es ist, ein Land zur Demokratie zu führen, das erleben wir in den letzten Monaten am Beispiel der arabischen Länder.


Am vergangenen Wochenende hatte ich «Mutter-Ersatz-Dienst». Ich betreute und bekochte drei Kinder von 9, 12 und 13 Jahren. Früher war das einfacher gewesen mit ihnen. Da konnte ich sagen: so und so läuft es, das und das machen wir. Jetzt konnte ich mir das glatt abschminken. Die Teenies redeten mit. Höflich und anständig, aber sie wollten wissen, warum wir das machen, und ob wir nicht auch etwas anderes machen könnten. Dann kamen andere Ideen. Natürlich nicht drei gleiche, sondern mindestens drei verschiedene. Sofort begannen sie miteinander zu diskutieren und zu feilschen. Zwei Vorschläge blieben übrig – wir stimmten ab. Eines der Kinder unterlag zwangsläufig. Und es tat sich schwer damit, diese Abstimmungsniederlage zu akzeptieren. Ich musste erklären, dass so die demokratischen Regeln sind. Man kann nicht früh genug lernen, dass man in der Demokratie wohl mitbestimmen kann, aber nicht immer gewinnt.


Ursy Trösch

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