Gedankenflug: Winterhexe und Grippelein

Noch scheint die Sonne auf eine farbenprächtige Herbstlandschaft. Dieses Jahr bleiben die gelben und roten Blätter dank der Trockenheit besonders lange an Bäumen und Sträuchern hängen. Es ist eine Wonne aus dem Fenster zu schauen oder einen Spaziergang an der Thur zu machen. Etwa entlang dem schmalen Nachklär-Bach unterhalb der Kläranlage zum grossen Baum. Er liegt am Boden, seine Blätter sind abgefallen, ein Teil seiner Äste abgefressen, die Rinde abgeschält. Nicht eine Säge hat ihn gefällt – die scharfen Zähne von Bibern haben so lange geduldig kleine Schnipsel abgeschabt, gleichmässig rund um den dicken Stamm, bis der grosse Baum fiel. Genau in Richtung des Bächleins. Traurig für den Baum, ganz sicher – aber ich bewundere die gescheiten Biber, die bei uns an der Thur leben. So kleine Tiere können einen acht Meter hohen Baum fällen, und erst noch auf die richtige Seite fallen lassen…

So habe ich meinen Gedankenflug vor einer Woche angefangen zu schreiben. Und dann kam alles anders. Keine Rede mehr von Blicken aus dem Fenster, geschweige denn von Spaziergängen. Der Schnee kam und die Winterhexe hat mich erwischt, die Grippe. Ich nieste, ich schneuzte Grosspackungen von Papiertaschentüchern durch, ich hatte Fieber, aber zu wenig zum Schwitzen, leider – denn dann wäre die Sache rascher ausgestanden gewesen. Die Kieferknochen schmerzten, jeder einzelne Zahn tat weh. Der Kopf drohte zu explodieren. Ich lag unter der Decke, zerfloss vor Selbstmitleid und wusste eigentlich nicht mehr, was ich denn hier noch wollte. Am liebsten wollte ich die Augen zu machen und einfach verschwinden.


Dann erinnerte ich mich an ähnliche Gedanken und Gefühle. Lange ists her, ich lebte in Afrika und die Malaria hatte mich erwischt. Frierend und Zähne klappernd lag ich zwischen den triefend nassen Leintüchern und wollte eigentlich nur noch sterben. Doch auch das überlebte ich – wie ich meine, ohne Schaden. Böse Zungen behaupten, ich sei seither wegen des damals eingenommenen Chinins, das als übliche Malariabehandlung galt, arg vergesslich geworden, mein Kopf habe offenbar irgendwie gelitten. Wenns nur das ist!


Und jetzt begann ich mich zu schämen: andere Menschen haben wirklich schwere Krankheiten und grosse Sorgen zu tragen – und ich will wegen eines kleinen «Grippeleins» entschwinden! Ich streue Asche über mein mittlerweile wieder genesenes Haupt.


Ursy Trösch

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