Vogelporträt: Interview mit Rudi

Krah, gräh, kräh, grah, gräh, gräh …da hat es ja doch noch geklappt ! Tagelang bin ich vor dem Fenster des Schreibenden herum stolziert; liess Baumnüsse aus einigen Metern Höhe auf die Strasse fallen; versuchte seine Aufmerksamkeit zu wecken, indem ich mich mit halsbrecheri-schen Flugmanövern auf Milane und Bussarde stürzte, unternahm also alles Mögliche, in der Hoffnung, es dieses Jahr noch in die Dorfposcht zu schaffen.

Und siehe da, an einem nebligen Novembermorgen bat er mich herein in die Schreibstube zum Interview.

Wi: Ich will nicht lange um den heissen Brei herum reden, Sie haben einen ziemlich üblen Ruf bei uns Menschen!

Wir verbinden Sie und Ihre Artgenossen mit Pech oder der Verkündung von Tod und Unglück. Eltern welche ihre Kinder misshandeln oder sonst vernachlässigen nennen wir Rabeneltern. Wenn jemand sich übergeben muss, so sagen wir «er gaat dä Chreie go rüefe», das ist nicht sehr appetitlich, was uns da im Zusammenhang mit Ihnen einfällt. Auch beim Namen «Galgenvogel», wie man Sie im Mittelalter auch nannte, wirds mir nicht richtig warm ums Herz. Was ist eigentlich daran an Eurem schlechten Ruf und wie gehen Sie mit diesen Attributen um? Gibt es überhaupt positive Assoziationen im Zusammenhang mit Euch schwarzen Gesellen?

Rudi seufzend: Ja, ja und das ist noch nicht alles: «Alte Krähe», «rabenschwarzer Tag» oder «klauen wie die Raben» sind weitere, allerdings höchst unqualifizierte Bezeichnungen im Zusammenhang mit uns.

Das war zur Zeit der Antike noch ganz anders. Zwei Krähen galten den Griechen als ein Symbol der Ehe. Unsere Klugheit, Findigkeit und Intelligenz war auch in der nordischen Mythologie ein Thema. Wilhelm der Eroberer z.B. schmückte sich siegreich nach der Schlacht von Hastings mit einem Banner, welches einen Raben zeigte. Auch Wotan bediente sich zweier Raben als Kundschafter und Späher.

Mit dem Tod in Verbindung gebracht werden wir, weil wir neben vielen anderen Dingen auch Aas fressen. Dass wir dadurch auch die wichtige Funktion einer Gesundheitspolizei erfüllen, geht dabei ganz vergessen.

Mit der Bezeichnung «Rabeneltern» können wir gar nichts anfangen. Das Gegenteil trifft zu! Unser flüggen Jungen werden noch mindestens weitere 4 Wochen von uns geführt und gefüttert. Selbst zu Boden gefallene Nestlinge bewachen, beschützen und füttern wir dort. Eine Ablösung von den Eltern findet nur sehr langsam statt.

Wi: Da wäre aber noch die Sache mit der Nesträuberei. Die wenigen Brutversuche, z.B. des Kiebitzes machen Sie durch Stehlen der Eier noch endgültig zunichte. Nicht gerade Gentleman like solches Verhalten !

Rudi gedehnt: Halt, halt, das nenn ich das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Wer macht seit Jahrzehnten dem Kiebitz und anderen Bodenbrütern das Leben schwer? Das ist der Mensch! Letzte, winzige Reservate für Kiebitze und Co. müssen gegenüber den Ansprüchen von Bauvorhaben, Landwirtschaft und Freizeitgestaltung verteidigt werden. Vogeleier und Nestlinge machen ohnehin nur einen verschwindend kleinen und saisonal beschränk-ten Anteil an unserer Nahrung aus.

Unser Speisezettel ist nämlich äusserst vielfältig: Wir sind Allesfresser. Im Winter bevorzugen wir Beeren, Sämereien, Aas. Im Sommer überwiegen Schnecken, Würmer, Insekten, Kleinsäuger und es ist wahr, ab und zu bereichert auch ein Vogelei oder ein Vogelkücken den Speisezettel. Auf Weiden vergnügen wir uns damit Kuhfladen zu drehen und Insekten abzulesen.

Wi: Man hört aber auch, dass Sie sich vermehren wie die Kaninchen! Da müssen Sie sich nicht wundern, wenn man auf Sie schiesst. Was ist daran wahr?

Rudi holt tief Luft und unterdrückt ein empörtes, heiseres Chrächzen: Da sind Sie aber gar nicht auf dem Laufenden sondern befinden sich gehörig auf dem Holzweg! Geschlechtsreif werden wir zwar bereits nach einem Jahr, doch in den Status eines Brutvogels steigen wir – wenn überhaupt – erst nach 3-5 Jahren auf.

In den ersten Lebensjahren halten wir uns in sogenannten Nichtbrütertrupps auf. Wir versuchen in dieser Zeit ein Revier zu erobern oder anstelle eines wegfallenden Brutvogels zu treten. Das gelingt aber nur zu selten, so dass wir oft unverpaart bleiben. Eltern zu werden ist für uns ein echter Karriereschritt. Einmal verpaart, hält unsere Ehe dann dafür lebenslang.

Wi: Soll das ein Seitenhieb auf uns Menschen sein?

Richtig in Fahrt gekommen geht Rudi nicht weiter darauf ein und fährt fort: Meistens benützen wir unsere Nester nur während einer Brutsaison. Sie dienen in den Folgejahren anderen Vögeln wie Baum- und Turmfalken oder der Ringeltaube als Nistgelegenheit. Obwohl wir 4-6 Eier legen, bringen wir nur ein Junges bis zum Flügge werden durch! Das liegt daran, dass wir nicht nur durch unseren Feind den Habicht, sondern auch durch unverpaarte Artgenossen immer wieder beim Brutgeschäft gestört werden. Diese Nichtbrüter rauben uns sogar die Kücken. 75% der flügge gewordenen Kücken sterben zudem im ersten Lebensjahr. Ueberlebt eine Jungkrähe das erste Lebensjahr, so kann sie aber dank Lernfähigkeit und Intelligenz durchaus 16 Jahre alt werden.

Und den Jägern noch einen Rat: Schiessen auf Brutvögel bringt gar nichts. Aus der Reserve der Jugendbanden rücken sofort andere nach. Das Gegenteil wird erreicht. Die Fruchtbarkeit erhöht sich, je weniger Störenfriede wir Brüter zu ertragen haben.

Wi: Bei den Bauern seid Ihr auch nicht beliebt. Sie klagen, dass die schwarzen Horden auf ihren Feldern einfallen, Körner picken, Keimlinge fressen und so Löcher in frisch angesäte Felder und damit in ihre Geldbeutel reissen. Schämen Sie sich gar nicht dafür?

Rudi rutscht etwas verlegen im bequemen Interview-Kissen hin und her: Hm, gräh, wir ernähren uns nun mal auch von pflanzlicher Kost, das stimmt. Wir versuchen dies aber durch Vertilgung von Schnecken und Mäusen wieder in Ordnung zu bringen. Und es gibt ja für die Bauern leider da noch dieses Merkblatt «Rabenvögel in der Kulturlandschaft» von der Vogelwarte Sempach, mit allerhand Tipps, wie man es uns unbequem machen kann.

Ist aber reinster Boulevard-Stil, was in diesem Pamphlet daherkommt und gar nicht weiter lesenswert …

Wi: Gut, ich sehe, das ist ein zu heikles Thema. Zu etwas anderem: Wie seid Ihr eigentlich organisiert? Das sieht uns manchmal wie ein ungeordneter Sauhaufen aus, wenn Ihr da auf einem Feld einfällt.

Rudi vorsichtig um sich blickend, den Schnabel zur Seite geneigt im Verschwörerton: Da sieht mans wieder mal, wie perfekt und für Euch Menschen unbemerkt dies abläuft. Was nach einem Sauhaufen aussieht, ist in Tat und Wahrheit streng durchorganisiert. Unsere prompten und differenzierten Reaktionen beruhen auf Teamwork. Sobald wir nämlich auf einem Feld einfallen, werden einige Wächter abkommandiert an die Randbereiche, wo sie die Aufgabe haben, das Umfeld zu beobachten und bei Gefahr, mit kurzen, eher leisen, aber nicht kratzenden Lauten zu warnen.

Im Gegensatz zu anderen Vögeln können wir sogar so gut miteinander kommunizieren, dass wir uns gegenseitig von besonders üppigen Jagdgründen erzählen können, was dann zum pulkartigen Auftreten führt und zur landläufigen Meinung beiträgt, dass wir uns ungezügelt vermehren. Auch die Nacht verbringen wir gerne in grösseren Trupps auf Schlafbäumen.

Wi: Ihr Chrächzen und zettern ist nicht gerade Balsam für unsere Ohren, was soll das eigentlich, gehts wirklich nicht besser?

Rudi: Gräh, chräh, krah, krah – aha – wussten Sie nicht, dass wir zu den am höchsten entwickelten Singvögeln zählen? Lachen Sie doch nicht, das ist biologisch durch die vielfältige Muskulatur des unteren Abschnittes unseres Kehlkopfes eindeutig bewiesen.

Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse haben gezeigt, dass wir über ein ausgeprägtes Kommunikationssystem verfügen. Anhand von Sonogrammen (= Lautaufzeichnungen) wurde festgestellt, dass jede Krähe ihren ganz speziellen, eigenen Kräh-Laut hat. Wir lernen uns also gegenseitig aufgrund der Lautäusserungen als Einzelwesen kennen und sehen genau, da kommt Jakob von der Hofwisen und dort turtelt Hanna vom Unterbächi mit Reinhold vom Asperhof.

Wi: Beim heiligen Krähenbegräbnis, das ist ja wirklich allerhand! Was stellen Sie sonst noch so an in der offensichtlich reichlich vorhandenen Freizeit?

Rudi hebt den Schnabel, blickt zum Himmel und meint dann schalkhaft chrächzend: Unsere Fitnessgeräte heissen Mäusebussard und Milan und wir lieben Fleisch. So liefern wir ihnen gerne – mal einfach zum Schein, mal um so einem Fleischvogel, wie wir sie nennen, auch Beute abzujagen – akrobatische und ausdauernde Luftgefechte.

Wi: Danke vielmal, das Gekrächze mit Ihnen war sehr aufschlussreich und Hut ab, Sie haben wirklich geschickt alle Register gezogen, so dass Sie mir schon fast ein wenig sympathisch sind. Sicher werde ich die nächste Begegnung mit Ihnen aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten!

Rudi: Danke, zum chrächz nochmal, das war ja auch höchste Zeit !

Das Merkblatt «Rabenvögel in landwirtschaftlichen Kulturen» der Vogelwarte Sempach, mit vielen Tipps zum friedlichen Zusammenleben mit Rabenvögeln, kann von der Homepage der Vogelwarte (www.vogelwarte.ch) gratis heruntergeladen werden.

Andy Widmer Altikon

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