Gedankenflug: Gottesäcker ziehen mich magisch an

Es gibt Wörter, die gefallen mir wegen dem Bild, das ich vor mir sehe. Zum Beispiel Sommervogel für den wenig malerisch tönenden Schmetterling. Oder Gottesacker für den Friedhof.

Friedhöfe, oder eben Gottesäcker, ziehen mich magisch an. Die geschmückten Gräber und die Grabsteine erzählen viel von den Dörfern und den Menschen. Da gibt es Namen, die kommen oft vor. Da gibt es Geburts- und Todesjahre, aus denen ich Familiengeschichten zusammenreimen kann. Weniger gut gefallen mir die Urnenwände, wo die Asche der Toten nach der Kremation in einem kleinen Kasten aus Stein «begraben» ist. Das ist so unpersönlich, es haben keine Blumen Platz. Wenns hoch kommt, steckt eine verbleichte künstliche Rose in der Fuge. In fremden Ländern habe ich gern Gottesäcker angesehen, sie sind so anders als bei uns. Im Süden kleben oft emaillierte Photos der Verstorbenen auf den Grabsteinen. Oder es gibt Familiengräber, die wie kleine Häuser aussehen.

Unter meinen Ferienfotos gibt es viele Bilder von Gottesäckern. Am eindrücklichsten war der muslimische Friedhof in der senegalesischen Stadt St. Louis am Meer. Muslime haben hier ihre Toten nur wenig in die Erde hinein gelegt und einen Hügel darüber aufgeschüttet. Pflanzen wachsen nicht in diesem Sand. Weil viele Menschen beim Fischen umgekommen sind, stecken neben den Grabhügeln Ruder, daran aufgehängt Fischernetze. Und als wir uns diesem Friedhof genähert haben, flogen die Geiervögel auf. Ein Bild, das auch Gänsehaut macht.

Auf manchen Friedhöfen habe ich Gräber von Berühmtheiten gesucht. Ewig lang bin ich in einem Aussenquartier von Berlin über den kleinen Gottesacker gegangen, auf welchem Marlene Dietrich begraben ist. Ein Grab wie alle andern rundum – aber ihr Name steht auf dem Stein. Kürzlich habe ich im Tessin in Tegna das schlichte Urnengrab der amerikanischen Schriftstellerin Patricia Highsmith gefunden. Es ist so einfach, wie die berühmte Frau ihre letzten Jahre auch zurückgezogen gelebt hat in diesem kleinen Dorf am Ausgang des Centovalli. «Meinen» schönsten Gottesacker aber gibt es nicht in Wirklichkeit. Er ist beschrieben irgendwo am Anfang von Gottfried Kellers Geschichte «Der grüne Heinrich»: Eine fröhliche Wiese voller wilder Blumen und Insekten und Sommervögel. Muss ich wieder lesen!

Ursy Trösch

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