Ein nostalgischer Blick durchs Fenster

Im Schulzimmer dieses Häuschens unterrichtete Ende der 30er Jahre eine tapfere Lehrerin die ersten drei Elementarschulklassen von Gütighausen und Thalheim (das zwei Generationen früher noch Dorlikon hiess). Bei dieser freundlichen Elsa Peter lernten auch die Zwillinge Ernst und Konrad Basler Lesen und Rechnen. Sie selbst war ein Zwilling, vermochte aber die Brüder Ernst und Konrad nicht voneinander zu unterscheiden. Das gelang nur den Gleichaltrigen und unserer Mutter, der Witwe Martha Basler-Epprecht.

Einmal kam ein Fotograf, um die Kinder beim Spielen abzulichten. Fräulein Peter nannte ihn Antonio. Und er kam wieder und häufiger. Er lernte uns Kellen schnitzen – ein einmaliges Weihnachtsgeschenk. Als Samichlaus blieb er unübertroffen. Unsere Schwierigkeit war schliesslich nur, dass wir beim Verabschieden versehentlich noch immer «adie Fräulein Peter» sagten statt «adie Frau Vitali».

Die Schulpflege stand hinter ihr. Trotz der Mahnbriefe des Glashändlers Peter aus Zürich, die Schulpflege möge doch verhindern, dass sich der Witwer Vitali mit den zwei Kindern bei seiner Tochter Elsa im Schulhäuschen niederlasse, richtete man dort eine bescheidene Wohnung ein. Ja, ihre Anstellung als Lehrerin durfte Elsa Vitali-Peter auch behalten, als sie um Urlaub bitten musste. Ich erinnere mich noch, als Antonio seine Elsa mit einem Leiterwägelchen zur Bahnstation hinaufführte. Sie sollte das Winterthurer Spital zeitig erreichen.

Der dort geborene Christoph Vitali ist heute der begehrte Kultur- und Kunstchef in Europa. So hat man ihn beauftragt, die Schweiz im Jubiläumsjahr 1998 an der Buchmesse in Frankfurt darzustellen. Ja, und aus Vater Antonio, den wir Kinder wie seine Frau Elsa verehrten, ist der berühmte Gestalter der Vitali-Spielzeuge geworden.

Nie wanderte ich mit jemandem durch Gütighausen, ohne aufzuzeigen, wo für uns, die wir keinen Kindergarten kannten, die Schule begonnen hatte. Beim letzten Mal begleitete mich der in Oerlingen aufgewachsene Hans Reutimann. Zu unserem gegenseitigen Erstaunen wusste jeder dem anderen einen Lebensabschnitt von Elsa Vitali-Peter zu erzählen. Hans Reutimann unterrichtete im selben Zürcher Schulhaus wie Elsa nach ihren Gütighauser Jahren. Wie unsere Mutter zähle ich Elsa Vitali zu den unbekannten Heldinnen, denen wir verdanken, was aus uns geworden ist.

Wir haben hier nochmals durchs Fenster eines Weinländer Schulhäuschens geguckt, von denen nun die meisten eingehen. Doch den Geist, der darin herrschen konnte und so manche Kinderseele mächtig beeinflusste, den hat Hans Reutimann in seinem Roman «Bericht von der unteren Wiese oder Die Äpfel der Kindheit» treffend und für alle Zeiten eingefangen.

Konrad Basler, Esslingen, 17.10.1999

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