Behördenkonferenz Pack die Zukunft!

h4>Zum Gastreferat an der Behördenkonferenz

An der Behördenkonferenz am 23. September 1999, haben die Gemeindebehörden von Thalheim nicht nur über Budget, Bauvorhaben und den Steuerfuss im Jahr 2000 diskutiert.

Für den zweiten Teil des Abends wurde auf Vorschlag der Kirchenpflege Patrice de Mestral eingeladen, der über das Projekt «Kapë të ardhmen» (Pack die Zukunft) berichtete.

Pro Monat werden über den Flughafen Kloten 120 bis 150 albanische Staatsbürger, fast ausschliesslich junge Männer in ihr Land zurückgeschafft, das sind 4 bis 5 Personen pro Tag. Laut Auskünften der Kantonspolizei waren es im letzten Jahr 2543. Von Januar bis September 1999 waren es 1181 Menschen, die auf diese Weise unfreiwillig nach Tirana zurückreisen mussten. Nach Zürich «angeliefert» wurden sie aus sämtlichen Kantonen. Der Ausschaffungsgrund lautet meistens «Illegaler Aufenthalt in der Schweiz». Da Albanien von den Flüchtlingsbehörden als «safe country» eingestuft wird, werden Asylgesuche von Albanerinnen und Albanern im Normalfall abgelehnt.

In den Zellen der Bezirks- und Polizeigefängnisse und im Flughafengefängnis machte der Gefängnis- und Polizeiseelsorger Patrice de Mestral Bekanntschaft mit dem Schiksal zahlreicher, zum Teil sehr junger Männer, die aus diesem chaotischen Land stammen. Der 65-jährige beobachtet diesen Kreislauf seit Jahren. Sehr viele junge Albaner versuchen bei uns in der Schweiz Fuss zu fassen. Da ihnen das nicht gelingt, werden viele in die Klein-Dealer-Szene verwickelt. Irgendwann werden sie verhaftet, sind einige Wochen im Gefängnis und werden dann zurückgeschafft, in ein verarmtes Land «ohne» Zukunft. Obwohl für die Ausgeschafften der Auszug aus Albanien nicht das gebracht hat, was sie sich erträumt hatten, werden Viele ein zweites und drittes mal ihr «Glück» versuchen. Patrice de Mestral ermittelte bei einer Befragung von 115 Albanern, dass bloss 25 Prozent, die nach der erzwungenen Rückkehr in ihrem Land bleiben wollen.

Den Exodus aus Albanien in Richtung Mitteleuropa vergleicht Patrice de Mestral mit der Reisläuferei der Schweizer Söldner vor einigen Jahrhunderten. Anders als die alten Reisläufer, die mit vollem Säckel heimkamen, kehren die jungen Albaner mit leeren Händen in ihr Land zurück. Nach dem Abenteuer-Trip in die Schweiz, macht sich spätestens bei der Ankunft am Flughafen Tirana Enttäuschung breit. Da sie kein Geld haben, und keine Chance Arbeit zu finden müssen manche in den Untergrund abtauchen; nicht selten, weil sie noch Schulden haben bei ihren Schleppern und deshalb Pressionen ausgesetzt sind. In Albanien, das in der Misere steckt, haben diese jungen Menschen kaum eine Chance für ihre Zukunft.

Patrice de Mestral wollte wissen wie es in diesem Land aussieht. Während einer zehntätigen Rekognoszierungstour im Herbst 1998 – bereits mit einer Projektidee im Kopf – sah er die darniederliegende Wirtschaft mit den vielen Erwerbslosen. Die jungen Männer halten sich zum Teil als Kleinhändler mit dem Verkauf von Zigaretten oder mit kleinen Imbissbuden über Wasser, oder sie verbringen den lieben langen Tag in den Caféhäuseren Tiranas und schauen westliche TV-Programme.

Nach dieser Reise nahmen die Ideen um das Re-Integrationsprojekt das Patrice de Mestral vorschwebte, klarere Formen an. Mit dem Ziel, den Rückgeschafften Albanern möglichst konkrete Hilfen und Perspektiven zu bieten, damit sie im eigenen Land wieder Wurzeln fassen können, startete er das Projekt «Kapë të ardhmen» (Pack die Zukunft).

Zusammen mit der Luzerner Sozialarbeiterin Franziska Camenzind, die fliessend albanisch spricht, wurden in Tirana Räume gemietet, die Beratungsstelle eingerichtet und einheimisches Personal, drei Frauen und ein Mann eingestellt.

Am 1. Mai 1999 öffnete das Büro in Tirana die Pforten. Die jungen Albaner bekamen von nun an am Flughafen Kloten und bei der Grenzpolizei Prospekte in die Hand gedrückt, die über dieses neue Hilfsangebot in Tirana orientierten. Die Botschaft kam jedoch nicht so an, wie man sich das erhofft hatte. Praktisch niemand suchte die Anlaufstelle auf; wohl aus Misstrauen gegenüber staatlichen Organisationen, das die Albaner vom Regime Enver Hoxhas her haben. Erschwerend für das Projekt kam hinzu, dass im Frühling wegen des Kosovokrieges und der zahlreichen Flüchtlinge aus dem Kosovo, die Aufbauarbeit fast verunmöglicht wurde.

Nun scheinen die Anfangsschwierigkeiten überstanden. Nach seinem siebten Besuch vor Ort bringt Patrice de Mestral folgende Eindrücke mit: «Jetzt scheint das Vertrauen zu wachsen. Jeden Tag kommen einige Leute in die Anlaufstelle. Mit Gruppen von Erwerbslosen werden heruntergekommene Hinterhöfe saniert, und für 15 junge Rückkehrer aus der Schweiz konnten in verschiedenen Betrieben bezahlte, vertraglich gesicherte Ausbildungsplätze vermittelt werden. Die Nachricht, dass die Schweizer dies tatsächlich erreicht haben, hat sich nun in windeseile herumgesprochen. Weitere Anfragen in kleinen und mittleren Betrieben waren erfolgreich. Insgesamt 64 weitere Betriebe sind an einer Zusammenarbeit interessiert und werden nun darauf vorbereitet lern- und arbeitswilligen jungen Männern eine Ausbildungsplätze anzubieten.»

Trotz der ermutigenden Entwicklung muss der nimmermüde Patrice de Mestral auch Tiefschläge einstecken. Zu kämpfen hat er bei jungen Albanern mit etwas, das er «soziales Desinteresse» nennt und stellt fest, dass die Frauen in den vielen, fast aussichtslos scheinenden Situationen eindeutig mehr Zuversicht, und Power haben als die Männer. Darum stellt sich der Theologe um so mehr die Frage, wie die jungen, aus der Schweiz ausgeschafften Albaner dazu gebracht werden könnten im eigenen Land das Motto «Kapë të ardhmen» (Pack die Zukunft) in die Tat umzusetzen.

Patrice de Mestral geniesst bei den verschiedenen Asylorganisationen, bei den verschiedenen Organen des Asyl-, Straf- und Ausweisungsvollzuges grosses Vertrauen.

Es ist schön zu erleben, dass das Projekt von Monat zu Monat an Akzeptanz gewinnt, und für eine ganze Reihe von zurückgeschafften jungen Albanern eine Chance bietet. Aber es ist auch eine Frage, ob es über längere Zeit gelingen wird, die Finanzierung für dieses Projekt zu sichern.

wjo

Projekt: «Kape de Ardhmen» – «Pack die Zukunft» Credit Suisse. ZH-Rathausplatz PC 80-500-4 / Konto 652 349-00-2

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