Portrait: Berta Ehrensberger-Graber, Gütighausen

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle ein Interview erwarten, muss ich Sie leider enttäuschen. Frau Berta Ehrensberger, am 7. Mai 1998 85jährig geworden, hat abgelehnt. Das Gedächtnis sei nicht mehr das beste, letztes Jahr habe sie eine Streifung gehabt, seither vergesse sie vieles und sage oft wieder das gleiche. Nein, ein Interview traue sie sich nicht mehr zu. Warum aber sollte ich sie nicht trotzdem besuchen und über sie ein Portrait schreiben? Ja, das könne ich schon, im Moment sei sie zwar etwas beschäftigt, der 85. Geburtstag bringe so maches mit sich und dann wolle sie Ende Mai noch in die Altersferien. So kam es, dass wir uns an einem Freitag Nachmittag in der gemütlichen Stube in ihrem Haus in Gütighausen am Tisch gegenübersassen. Ich traf eine interessierte Frau an, die mir eine Menge erzählte aus ihrem Leben, von ihrer Familie und wie sie den grossen Geburtstag zusammen feierten. Freudig berichtet sie: «17 Personen habe ich eingeladen zu einem unvergesslichen Mittagessen im Tösstal. Tochter Hanni organisierte Alphornbläser, das war wunderschön, denn Musik, vor allem Volkstümliches, gefällt mir immer».

Keine so unbeschwerte Jugend

Kinder stehen zwar im Zeichen unserer Titelbilder. Trotzdem oder gerade deswegen interessiert Sie vielleicht ein Bericht über eine Frau der älteren Generation. Auch sie war einmal ein Kind, hatte eine Jugend, die nicht so unbeschwert war, wie sie viele Kinder heutzutags erleben dürfen. Sie mag es aber allen gönnen, denen es heute gut geht. Freuen kann sie sich heute an sieben Enkelkindern, drei davon wachsen gleich in der nächsten Nachbarschaft in Gütighausen auf, zwei sind schon verheiratet, zwei leben im Welschland. Selber hat sie und ihr vor 21 Jahren verstorbener Mann drei Töchter und einen Sohn grossgezogen. «Einen guten Mann habe ich gehabt», meint Frau Ehrensberger. Noch heute hängt sein Bild in der Stube neben dem Hochzeitsfoto. Die Freude war damals riesig, als nach drei Mädchen noch ein Sohn geboren wurde. Es gab immer viel zu tun. Die vier Kinder mussten auf dem elterlichen Bauernhof wacker mithelfen. Am Sonntag habe ihr Mann, der auch ein paar Jahre im Gemeinderat war, am Stubentisch arbeiten müssen und jeweils zu ihr gesagt: «Mutter, gehe du mit den Kindern spazieren, so habe ich meine Ruhe beim Schreiben!» Die Arbeit im Stall mochte sie nie besonders, auf dem Feld, da musste sie aber schon viel arbeiten. Während der Kriegsjahre lernte sie noch Traktorfahren. Es waren harte Jahre. Den Mann und das Pferd hat man ihr weggenommen und als Bäuerin und Mutter war sie zuhause für alles verantwortlich.

Man spürt, dass Frau Ehrensberger schon früh lernen musste, allein zurecht zu kommen. Ihr Vater starb früh und ihre Mutter musste danach die fünf Kinder allein durchbringen. Trotzdem sei die Mutter neunzig Jahre alt geworden und immer eine fröhliche Frau geblieben.

«Es gibt so viel Streit auf der Welt»

Besonders am Herzen lag Frau Ehrensberger immer der Friede. Noch heute findet sie es etwas vom wichtigsten, wenn man friedlich miteinander umgeht. «Es gibt so viel Streit auf der Welt», bedauert sie. Zu allen ihren vier Kindern habe sie einen guten und engen Kontakt, auch zu den Enkeln, die sie oft besuchen oder anrufen, sogar aus dem Ausland. Sie hatte immer gern Kinder und sie glaubt, dass jetzt im hohen Alter auch etwas zurückkommt. Sie ist sehr froh, noch im eigenen Haus wohnen zu können. Ohne die Hilfe der Töchter, des Sohnes, des Schwiegersohnes und der Schwiegertochter wäre das nicht möglich. In der Stube steht ein Kachelofen, welcher im Winter mit Holz geheizt werden muss. Eine Zentralheizung gibt es nicht. Die «Holzburden» werden ihr ins Haus getragen, heizen, das könne sie aber schon noch allein. Auch heute noch kocht sie gerne selber. Jetzt ist sie aber doch dankbar, wenn sie von den Nachkommen ab und zu zum Essen eingeladen wird. Wenn sie aber allein ist, so trägt sie bei schönem Wetter noch sehr gerne das Essen auf den Tisch vor dem Haus und isst dann ganz allein draussen. «Da bin ich in der freien Natur, höre und sehe immer etwas, und die Mühe, den Teller hinauszutragen, ist kaum der Rede wert.» erklärt Frau Ehrensberger. Einkäufe erledigt ihr jetzt meist Tochter Elisabeth oder Schwiegertochter Myrtha. Das nimmt sie dankbar an.

Vom Stubenfenster den Garten sehen …

Vor den Fenstern stehen stattliche Kistchen mit roten Geranien, die sie allesamt überwintert und neu gezogen hat. Blumen haben Frau Ehrensberger schon immer viel bedeutet. Den Garten allerdings, kann sie dieses Jahr erstmals nicht mehr selber besorgen. Die Tochter und Schwiegertochter bepflanzen ihn jetzt. Das freut sie sehr, denn so sieht sie vom Stubenfenster aus immer in einen Garten, wo so mancherlei wächst und gedeiht.

Nicht zum ersten Mal will die 85jährige Frau auch dieses Jahr wieder mit in die Altersferien. Den Reisekoffer hat sie selber gepackt. Tochter Hanni, die am Tag unseres Gespräches bei ihrer Mutter weilt, habe nur noch kurz kontrollieren müssen. Natürlich hofft sie, dass alles gut geht. Als sich die Tochter verabschiedet, muntert sie ihre Mutter nochmals tüchtig auf: «Es wird schon alles gut gehen!»

Da staunten die Gäste der Geburtstagsfeier!

Es wird Zeit, dass ich mich von Frau Ehrensberger verabschiede. Vielleicht wird ihr das viele Reden auch langsam zuviel. Nein, sie müsse mir noch schnell etwas zeigen, in ihrer Kammer gleich nebenan. An der Wand hängt ein Büschel grauer Haare. Ich lasse mir erklären: «Zu meinem Geburtstagsfest habe ich mir fest vorgenommen, die langen Haare abzuschneiden. Ohne jemandem etwas zu sagen, habe ich mich zum Coiffeur angemeldet und mit Kurzhaarfrisur bin ich am Geburtstagsfest vor den Gästen gestanden.» Da läuft sie Zeit ihres Lebens mit Zöpfen oder Riebel herum und mit 85 Jahren rafft sie sich zu einem neuen Haarschnitt auf. Man höre und staune!

Ich nehme an, die Zeit, in der die Jubilarin den grossen Geburtstag feiern konnte, war hektisch genug. Es werden wieder andere Tage kommen, an denen in Bertas Stube niemand auf Besuch weilt. Nur das Ticken der alten Wanduhr oder das Klappern der Stricknadeln wird dann zu hören sein, wenn Frau Ehrensberger wieder ein Paar Wollsocken stricken wird.

Marlies Schwarz

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